Johannes Meier beeindruckt als Mephisto in Sven Grunerts „Faust“-Fragment – Gastspiel in Ingolstadt (2024)

Himmel. Hölle. Pudels Kern. Pakt. Hexenküche. Gretchen. Schuld. Tod. Rettung? „Faust01“ in 90 Minuten. Mehr Zeit benötigt Sven Grunert nicht für seine ganz eigene Studie über das Menschsein in Zeiten von KI. Sein Faust-Fragment nach Goethes Klassiker eröffnete die Spielzeit im Kleinen Theater Kammerspiele Landshut – und ist nun zu den Bayerischen Theatertagen in Ingolstadt eingeladen.

Spielmacher in diesem hoch komplexen Abend ist dabei Johannes Meier als Mephisto, der nicht nur Faust, sondern vor allem das Publikum in seinen Bann zieht. Durch seine Unberechenbarkeit. Seine Verführungskunst. Doch hinter seiner Gaukelei wittert man Gefahr, hinter seiner Leutseligkeit den Abgrund. Sein Charme hat etwas Dunkles. Das Spiel um Macht und Machbarkeit treibt ihn um, treibt ihn an. Und man schaut ihm gespannt dabei zu.

Dabei kam er erst über Umwege zur Schauspielerei. Denn zunächst machte Johannes Meier, 1984 im thüringischen Waltershausen geboren, eine Lehrer als Tischler. „Mein Großvater war Tischler. Und ich wusste nach der Schule nicht genau, was ich machen sollte“, erzählt er. Die Ausbildung absolvierte er in Frankfurt. Am Gallus Theater hat er sich mit dem Theatervirus infiziert. „Ich wollte mich ausprobieren.“ Und von da bis zum ersten Vorsprechen in München war es dann nur noch ein kleiner Schritt. „Es fiel einfach alles auf den richtigen Platz.“ Nach dem Studium an der Otto-Falckenberg-Schule folgten Engagements an den Münchener Kammerspielen und dem Volkstheater München. Am Volkstheater leitete er einen Jugendclub, setzte sich mit den Jugendlichen mit einem Stück von Thomas Brasch auseinander. „Das ist unspielbar. Besteht nur aus Gedichten. Aber es war schön, sich wöchentlich an einem konstanten Ort zu treffen, wo man über die Welt nachdenken konnte.“ Nach sieben Jahren Bayern entschied er sich für einen Wechsel in die Freiberuflichkeit.

Er spielte in Bozen und Salzburg, zog nach Berlin, arbeitete am Berliner Ensemble, am Maxim Gorki, am Deutschen Theater, an der Volksbühne. Drehte („Soko 5113“, „Kommissarin Lucas“). Bis 2017 „so ein Loch“ kam. Johannes Meier schrieb sich für ein Psychologie-Studium ein, schloss es aber nicht ab.

Er ist überzeugt: „Schauspieler ist der schönste Beruf der Welt!“ Die inhaltliche und ästhetische Auseinandersetzung mit einem Stoff, die Verbindung zum Regisseur und den Kollegen, die Art und Weise der Rollenerarbeitung. „Da entsteht ein gemeinsames Geschichtenerzählen – wunderschön und genauso absurd! Auf der Bühne kann man etwas zeigen, was man im Alltag verlernt hat zu zeigen. Weil es gesellschaftlich nicht konform ist. Da gibt es Figuren, die sich nicht mehr unter Kontrolle haben, die ungehalten sind, die weniger taktieren, sondern dramatisch sind. Wie bei spielenden Kindern. Die ziehen sich an den Haaren, schreien sich an, spucken sich an.“ Gebrochene Charaktere faszinieren ihn. Und Schauspieler, die etwas riskieren.

Die Auseinandersetzung mit der Rolle „funktioniert meist intuitiv“, beschreibt er. Wie war es bei Mephisto? „Andreas Sigrist als Faust hat eine große Präzision, etwas Analytisch-Vergeistigtes. Ich wollte etwas Chaotisches dagegenstellen. Etwas Unkontrolliertes, Lebendiges, Blutendes, Schwitzendes. Es ging um Suche und vor allem: um Verführung. Wie verführe ich Faust? Wie das Publikum? Wer manipuliert wen? Mephisto fasst diese Ambivalenz sogar in Worte: ,Der ganze Strudel strömt nach oben, du glaubst zu ziehen, doch du wirst gezogen.‘“

Johannes Meier interagiert stark mit dem Publikum, kommt ihm nah, spricht es an, wirft sich in die Zuschauerreihen. Ist das schwierig? „Es ist immer Überwindung. Es ist grenzüberschreitend. Aber meistens kriegt man sie“, sagt er. Er grinst: „Sich nicht sicher fühlen, kann auch spannend sein.“

Die Suche treibt Johannes Meier an. Nicht nur im Probenprozess: Regisseur Sven Grunert „ist fast durchgedreht, weil ich auf jeder Probe etwas anderes gemacht habe“. Auch bei den laufenden Vorstellungen „gucke ich immer, dass es lebendig bleibt. Wenn jemand was Neues macht, gucken die Kollegen besser zu. Man spielt dann nicht ab, sondern man spielt miteinander“.

Das Konzept scheint aufzugehen: „Faust“ ist spannend von der ersten bis zu letzten Minute. Und Regisseur Sven Grunert hat Johannes Meier gleich für Daniel Kehlmanns Stück „Heilig Abend“ am Kleinen Theater Landshut engagiert.

Rollen, die er gern spielen würde? Regisseure, mit denen er gern arbeiten würde?

„Das schottische Stück“ würde ihn reizen, sagt er. Und mit Ulrich Rasche würde er gern mal arbeiten. Dessen Arbeiten werden häufig mit dem Etikett Maschinentheater versehen, seil er seinen Schauspieler auf Laufbänder oder Drehscheiben einen präzisen Sprech- und Bewegungsrhythmus vorgibt. „Diese Konsequenz in der Formalität finde ich beeindruckend“, sagt Johannes Meier. „Es ist wie ein Trance-Erlebnis, wenn man den Leuten beim ewigen Laufen zusieht. Trotzdem ist viel Körper dabei. Viel Kraft. Da krieg ich eine Gänsehaut.“

Neue Projekte? Am Berliner Monbijou Theater spielt Johannes Meier ab Juni im „Freibeuter“ von Aphra Behn. Das Stück von 1677 ist ein klassisches Verwirrspiel und eine Kampfansage an festgelegte Geschlechterrollen. Da übernimmt er übrigens eine Doppelrolle. Der Schauspieler Johannes Meier spielt auf der Bühne, die der Tischler Johannes Meier gebaut hat.


„Faust01 – Fragmente23“ vom Kleinen Theater Landshut gastiert am 2. Juni um 19 Uhr im Großen Haus des Stadttheaters Ingolstadt.

Johannes Meier beeindruckt als Mephisto in Sven Grunerts „Faust“-Fragment – Gastspiel in Ingolstadt (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Prof. An Powlowski

Last Updated:

Views: 6057

Rating: 4.3 / 5 (64 voted)

Reviews: 95% of readers found this page helpful

Author information

Name: Prof. An Powlowski

Birthday: 1992-09-29

Address: Apt. 994 8891 Orval Hill, Brittnyburgh, AZ 41023-0398

Phone: +26417467956738

Job: District Marketing Strategist

Hobby: Embroidery, Bodybuilding, Motor sports, Amateur radio, Wood carving, Whittling, Air sports

Introduction: My name is Prof. An Powlowski, I am a charming, helpful, attractive, good, graceful, thoughtful, vast person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.